fehlerhafte Einstellung der Uhren

Veröffentlicht am: 12.02.2013 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

In Sachen

der SF Pfullingen
- Protestführer -
gegen
 
die TG Biberach
- Protestgegner -

wegen der fehlerhafter Einstellung der Uhren

hat das Verbandsschiedsgericht am 31.01.2013 durch Dr. Rolf Gutmann als Vorsitzenden und Alexander Häcker und Ute Jusciak als Beisitzer entschieden:

  1. Die Entscheidung des Staffelleiters der Oberliga vom 13.12.2012 wird aufgehoben. Der Wettkampf vom 18.11.2012 wird mit 4,5:3,5 zu Gunsten des Protestführers gewertet.
  2. Der Protestgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Sachverhalt:

Der Protestführer begehrt die Wiederherstellung des sportlichen Ergebnisses von 4,5;3,5 aus der Begegnung mit dem Protestgegner am 3.Spieltag der Oberliga 2012/13.

Zur Oberliga-Saison 2012/13 wurde eine neue Bedenkzeit („Fischer-Modus“) eingeführt. Jeder Spieler erhält nun 90 Minuten für die ersten 40 Züge und nach der Zeitkontrolle weitere 30 Minuten. Zusätzlich erhält jeder Spieler von Beginn an 30 Sekunden pro Zug. Dieser Modus setzt zwingend den Einsatz von Digitaluhren voraus. Im Startrundschreiben zur Oberliga vom 14.09.2012 heißt es dazu:

„Bitte beachten: der Uhrentyp DGT 2000 ist für diesen Modus nicht zugelassen, auf DSB-Ebene sind zulässig: SILVER, DGT-XL und DGT 2010, wobei man bei den ersten Exemplaren der DGT 2010 daran denken muss, den richtigen Modus einzustellen.“

Bei den ersten Modellen der DGT 2010 ist lediglich ein Bonus-Modus einprogrammiert, der nicht mit dem in der Oberliga festgelegten übereinstimmt („Modus 19“). Auf der Rückseite dieser Uhren selbst wird behauptet, dass Modus 19 dem neuen Fischer-Modus der Oberliga entspreche. Die Abweichung kann lediglich durch einen Testlauf oder eingehendes Studium der Bedienungsanleitung erkannt werden. Der richtige Modus lässt sich manuell einstellen, weshalb auch die älteren Modelle erlaubt sind. Bei den neueren Modellen der DGT 2010 wurde der Fehler behoben, sodass dort keine manuelle Einstellung erfolgen muss. Die neueren Modelle tragen dieselbe Bezeichnung und lassen sich durch blaue Tasten von den älteren Modellen unterscheiden. Dies wurde den Vereinen seitens der Spielleitung nicht mitgeteilt. Die Oberliga-Schiedsrichter wurden vorab entsprechend informiert und mit einer Programmieranweisung für die älteren Modelle der DGT 2010 ausgerüstet.

Am 18.11.2012 (3.Spieltag) setzte der Protestführer anlässlich seines ersten Oberliga-Heimspiels der Saison gegen den Protestgegner in Unkenntnis der Problematik ältere DGT 2010-Uhren ein. Dies wurde vom Schiedsrichter festgestellt, der die Parteien über die erforderliche manuelle Einstellung informierte. Diese nahm der Schiedsrichter sodann mit Unterstützung des Mannschaftsführers des Protestgegners sowie eventuell einer weiteren Person vor. Dabei wurden jedenfalls die Uhren an den Brettern 1, 2, 6 und 8 falsch programmiert, sodass dort die zusätzliche Bedenkzeit von 30 Minuten bereits nach 30 statt nach 40 Zügen hinzu addiert wurde.

Die Bretter 3 und 4 endeten bereits frühzeitig mit Remis. Der Einstellungsfehler wurde anschließend an Brett 1 festgestellt, als nach 30 Zügen jeder Spieler weitere 30 Minuten erhielt. Daraufhin forderte der Spieler des Protestgegners den Schiedsrichter auf, die Uhr zu korrigieren. Der Schiedsrichter entschied jedoch, die Partie mit der (fehlerhaften) Einstellung fortzusetzen. Entsprechend griff er auch nicht ein, als nachfolgend an anderen Uhren ebenfalls Einstellungsfehler entdeckt wurden. Der Protestführer gewann schließlich mit 4,5:3,5.

Gegen die Wertung dieses Ergebnisses legte der Protestgegner am 19.11.2012 Einspruch beim Staffelleiter der Oberliga ein. Er trug vor, es habe an keinem Brett eine reguläre Zeitkontrolle gegeben, lediglich die Partien an den Brettern 3 und 4 seien frühzeitig beendet worden. Im Hinblick auf § 11 Abs. 1 lit. a)-c) beantragte der Protestgegner eine Neuansetzung des gesamten Mannschaftskampfes, da der Zeitmodus nicht der Regelung der Oberliga entsprochen habe.

Der Protestführer beantragte Abweisung des Einspruchs. Die Uhren DGT 2010 seien ausdrücklich zugelassen worden. Da keine Information zu den Unterschieden zwischen alten und neuen Modellen und der korrekten Einstellung an die Vereine ergangen sei, könne dem Protestführer kein Vorwurf gemacht werden. Im Übrigen habe sich die fehlerhafte manuelle Einstellung an keinem Brett spielentscheidend ausgewirkt.

Mit Entscheidung vom 13.12.2012 bestimmte der Spielleiter eine Neuansetzung des Mannschaftskampfes auf den 10.02.2013 und ließ die Partien nicht zur Auswertung zu. Zwar trage der Protestführer mangels Einübung der Bedienung eine Mitschuld, allerdings liege die Hauptverantwortung gemäß § 4 Nr. 3 WTO beim Schiedsrichter.

Die Begegnung habe aber insgesamt unter irregulären Bedingungen stattgefunden, da eine Oberligapartie gemäß § 3 Nr. 3 WTO nicht mit der gegebenen Bedenkzeit stattfinden könne. Ob und inwiefern sich die fehlerhafte Einstellung im Einzelnen auf die Partien ausgewirkt habe, könne nicht entscheidend sein. Zudem beeinflussten sich Partien eines Manschaftskampfes stets gegenseitig, sodass auch eine vorzeitige Beendigung vor der falschen Zeitkontrolle im 30.Zug irrelevant sei.

Gegen diese Entscheidung legte der Protestführer mit Datum vom 19.12.2012 Protest beim Verbandsschiedsgericht ein. Er trägt ergänzend vor, dass Art. 6.10 der FIDE-Regeln einschlägig sei und die Entscheidung des Schiedsrichters als Ermessensentscheidung anzuerkennen sei. Der Protestführer beantragt die Aufhebung der Entscheidung des Staffelleiters und die Wiederherstellung des sportlichen Ergebnisses.

Der Protestgegner beantragt Abweisung des Protests. Es sei nur Art. 6.10 lit. b) der FIDE-Regeln anwendbar, der dem Schiedsrichter keinen Ermessensspielraum gewähre.

Entscheidungsgründe:

Der Protest ist zulässig und begründet. Er führt zur Aufhebung der Entscheidung des Staffelleiters, wie aus dem Tenor ersichtlich.

Der Protestführer hat seine Pflichten zur Bereitstellung von ausreichendem, geeignetem Spielmaterial nach § 11 Nr. 1 lit. b) WTO nicht verletzt. Die von ihm eingesetzten Uhren DGT 2010 – auch die älteren Modelle – waren nach dem Startrundschreiben ausdrücklich zugelassen und damit „geeignet“. Da der auf den Uhren – fälschlich – aufgedruckte Modus 19 exakt der Bedenkzeit der Oberliga entspricht und das Startrundschreiben keine näheren Hinweise enthielt, durfte der Protestführer auf die Richtigkeit dieses Aufdrucks vertrauen und war nicht gehalten, im Vorfeld etwa einen Testlauf zu unternehmen. Ob dies anders wäre, wenn er die Unterschiede zwischen den alten und neuen Modellen hätte kennen müssen, braucht nicht entschieden zu werden. Denn hierfür genügt nicht die pauschale Aussage, man müsse daran denken, „den richtigen Modus einzustellen.“ Dies ist ohne nähere Erläuterungen, auch angesichts des aufgedruckten Modus 19, nicht mehr als eine bloße Selbstverständlichkeit.

Soweit die Neuansetzung des Mannschaftskampfes auch auf Partien bezogen wurde, die unstreitig beendet waren, bevor sich die fehlerhafte Einstellung – sei es an allen oder auch nur an manchen Brettern – auswirken konnte, kann die Entscheidung des Staffelleiters bereits deswegen keinen Bestand haben. Zwar ist im Grundsatz zutreffend, dass „beim Mannschaftskampf nicht jeder isoliert für sich spielt, sondern das Geschehen an den anderen Brettern immer mit in die Bewertung einfließt und sich die Partien gegenseitig beeinflussen“. Insofern wäre es unter Umständen denkbar, dass eine fehlerhafte Partie andere „infiziert“. Hier verlief der gesamte Mannschaftskampf allerdings so lange völlig korrekt, bis die erste Partie den 30.Zug erreichte. Frühestens zu diesem Zeitpunkt wurden einzelne Partien „fehlerhaft“. Da die Bretter 3 und 4 bereits beendet waren, als dieser Zeitpunkt eintrat, wurden jedenfalls sie ausschließlich von völlig korrekten Partien „beeinflusst“. Damit gibt es keinen Grund, ihr Ergebnis in Frage zu stellen.

Dies bestätigt auch folgende Kontrollüberlegung: Die Uhren hätten noch nachträglich korrigiert werden können, als der Fehler festgestellt wurde. Dann wäre offensichtlich der gesamte Mannschaftskampf unter korrekten Bedingungen beendet worden (abgesehen von der zu vernachlässigenden Unterbrechung zur Korrektur der Einstellung). Ein Ereignis (Entscheidung des Schiedsrichters, ob die Einstellung zu korrigieren ist), dass erst nach Beendigung einer Partie eintritt, kann jedoch nicht entscheidend dafür sein, ob die bereits beendete Partie korrekt oder irregulär verlaufen ist.

Auch im Übrigen ist an den erspielten Ergebnissen festzuhalten. Der Staffelleiter will den Mannschaftskampf „aufgrund falscher Bedenkzeit und damit insgesamt irregulärer Bedingungen“ neu ansetzen. Wegen der falschen Bedenkzeit habe es sich nicht um Oberliga-Partien gehandelt, sie könnten daher auch nicht als solche gewertet werden.

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. § 3 Nr. 3 Satz 1 WTO legt die Bedenkzeit für die Oberliga fest. Rechtsfolgen für den Fall einer Abweichung enthält die WTO allerdings nicht. Die Vorgabe einer Bedenkzeit ist zwingende Voraussetzung jeder Turnierausschreibung, sodass es sich dabei um eine bloße Ordnungsvorschrift handeln könnte. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an.

Streitgegenstand ist die Pflicht des Schiedsrichters, gemäß § 4 Nr. 3 Satz 2 WTO das Turnier nach den Regeln der FIDE und der WTO zu leiten und damit auch die Einhaltung der richtigen Bedenkzeit zu sichern. Unmittelbar ausgewirkt hat sich hier letztlich gar nicht die fehlerhafte Einstellung der Uhren. Denn diese wurde rechtzeitig bemerkt und hätte ohne Weiteres noch während des Partieverlaufs korrigiert werden können. Hiervon sah der Schiedsrichter jedoch bewusst ab. Maßgeblicher Prüfungsgegenstand dieses Protestverfahrens ist daher allein eine Schiedsrichterentscheidung und keine per se „irregulären Bedingungen“.

Einschlägig ist daher Art. 6.10 lit. b) der FIDE-Regeln: „Wenn während einer Partie festgestellt wird, dass die Einstellung einer oder beider Uhren unrichtig war, muss einer der Spieler oder der Schiedsrichter sofort die Uhren anhalten. Der Schiedsrichter muss die richtige Einstellung vornehmen und die Zeiten und den Zugzähler anpassen. Er bestimmt nach bestem Ermessen die richtigen Einstellungen.“

Dies sehen auch beide Parteien so, wobei schon unklar ist, ob die Spieler des Protestgegners ihre Uhren anhielten. Nach seinem Vortrag wurde der Schiedsrichter lediglich angesprochen. Im Streit steht, ob dem Schiedsrichter hinsichtlich der „richtigen Einstellung“ ein Ermessen zusteht. In der Tat spricht die Formulierung „muss die richtige Einstellung vornehmen“ – für sich betrachtet – gegen ein Ermessen und für die zwingende Anpassung an die durch die Ausschreibung vorgegebene Bedenkzeit. Allerdings wäre bei diesem Verständnis der nachfolgende ausdrücklich ein Ermessen erwähnende Satz sinnlos, wenn nicht widersprüchlich. Dieser letzte Satz ist daher als Definition der „richtigen Einstellung“ zu verstehen, wonach eine Einstellung durch die Ermessenausübung des Schiedsrichters korrekt wird.

Auch ein Vergleich mit dem englischen Originaltext „The arbiter shall install the correct setting…“ spricht dafür, die Bestimmung lediglich so zu verstehen, dass und durch wen gehandelt werden soll. Das Wort „shall“ ist im übrigen Text der deutschen FIDE-Regeln üblicherweise so übersetzt, dass bloß eine bestimmte Auswirkung beschrieben wird, z.B. in Art. 6.6 lit. a): „Any player who arrives at the chessboard after the start of the session shall lose the game.“ bzw. „Jeder Spieler, der erst nach dem Spielbeginn am Schachbrett erscheint, verliert die Partie.“ Dementsprechend erscheint die folgende Übersetzung des Art. 6.10 lit. b) Satz 2 der FIDE-Regeln naheliegender: „Der Schiedsrichter nimmt die richtige Einstellung vor…“. Damit entfällt der auf den ersten Blick bestehende Widerspruch zwischen „Muss-“ und Ermessensentscheidung.

Die Entscheidung des Schiedsrichters ist damit hinzunehmen, solange keine sachfremden Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Hiervon ist auszugehen. Zwar wird in aller Regel die Anpassung an die korrekte Bedenkzeit der „richtigen Einstellung“ entsprechen. Dies war sicherlich auch vorliegend die am nächsten liegende Vorgehensweise. Aufgabe des Schiedsrichters ist es jedoch, „eine sportliche, logische und den speziellen Gegebenheiten angemessene Lösung zu finden“ (siehe Vorwort der FIDE-Regeln). Damit besteht stets ein gewisser Beurteilungsspielraum. Dass der Schiedsrichter diesen vorliegend überschritten und entgegen seiner Objektivitätspflicht entschieden hätte, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 12 Schiedsordnung. Dem Protestführer ist eine eingezahlte Protestgebühr zu erstatten; der Protestgegner muss die Protestgebühr an die Verbandskasse zahlen.

Dr. Rolf Gutmann
Alexander Häcker
Ute Jusciak