Rückzug einer Mannschaft

Veröffentlicht am: 29.09.2015 von Holger Schröck in: Schiedsgericht » Urteile Drucken

Schiedsspruch

In Sachen
Schachclub Kirchheim Teck e. V.
vertreten durch den 1. Vorsitzenden Tobias Traier
– Protestführer/Berufungsführer –
gegen
Schachbezirk Neckar/Fils
vertreten durch den Bezirksspielleiter Udo Ruprich
– Protestgegner/Berufungsgegner –

hat das Verbandsschiedsgericht des Schachverbands Württemberg am 13. September 2015 durch den Vorsitzenden Alexander Häcker, den stellvertretenden Vorsitzenden Michael Schwerteck und den Beisitzer Norbert Kelemen entschieden:

  1. Der Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts Neckar/Fils vom 25. August 2015 wird aufgehoben. Die 1. Mannschaft des Berufungsführers ist in der Saison 2015/2016 in der Landesliga Neckar/Fils spielberechtigt.
  2. Dem Berufungsführer werden die Protestgebühr und die Berufungsgebühr zurückerstattet. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Sachverhalt:

Die 1. Mannschaft des Berufungsführers belegte in der Saison 2014/2015 den 8. Platz (Abstiegsplatz) in der Landesliga Neckar/Fils. Der SV Tübingen zog mit Email an den Berufungsgegner vom 8. Juli 2015 seine 1. Mannschaft aus der Landesliga Neckar/Fils und seine 2. Mannschaft aus der (zweigeteilten) Bezirksliga Neckar/Fils zurück. Der Berufungsgegner entschied daraufhin am 10. Juli 2015 im Rahmen der Sitzung seines Spielausschusses, dass die Landesliga und die Bezirksliga A in der Saison 2015/2016 mit je 9 Mannschaften spielen. Diese Entscheidung wurde am 13. Juli 2015 auf der Homepage des Berufungsgegners veröffentlicht.

Gegen diese Entscheidung legte der Berufungsführer mit am 1. August 2015 eingegangenen Schreiben Protest beim Bezirksschiedsgericht Neckar/Fils ein. Er trägt vor, gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 der Geschäfts- und Spielordnung des Schachbezirks Neckar/Fils vom 6. Mai 1995, zuletzt geändert am 11. Mai 2013 (GSO) steige in der alten Saison eine Mannschaft weniger aus der Landesliga oder Bezirksliga ab, wenn ein Verein eine Mannschaft vor der neuen Saison aus der jeweiligen Klasse zurückziehe. Gemäß § 1 Abs. 8 WTO beginne das Spieljahr am 01.09. eines Jahres. Der SV Tübingen habe seine 1. Mannschaft somit "vor der neuen Saison" zurückgezogen. Folglich sei die 1. Mannschaft des Berufungsführers nicht aus der Landesliga abgestiegen.

Der Berufungsgegner weist darauf hin, dass er sich bei seiner Entscheidung an § 8 Abs. 3 WTO orientiert habe. Seit der Amtszeit des Bezirksspielleiters habe sich der Berufungsgegner in den vergangenen 17 Jahren stets an dem 01.07. als Stichtag für das Ende der Saison orientiert, da es in den Monaten Juli und August nie Wettkämpfe gegeben habe. Der SV Tübingen habe seine Mannschaft nach dem 1. Juli 2015 zurückgezogen, sodass die Regelung des § 11 Abs. 6 Satz 2 GSO nicht greife. Ferner habe der Berufungsführer die Protestfrist von 10 Tagen nach der Veröffentlichung der Entscheidung am 13. Juli 2015 nicht eingehalten. Schließlich weist der Berufungsgegner auf erhebliche praktische Schwierigkeiten hin, falls die bereits erfolgte Einteilung der Landesliga und der Bezirksliga neu vorgenommen werden müsste.

Das Bezirksschiedsgericht wies den Protest mit Schiedsspruch vom 25. August 2015 als unzulässig zurück. Wie sich aus einer Entscheidung des Verbandsschiedsgerichts zur Württembergischen Frauenmeisterschaft 2008 ergebe (Beschluss vom 10. Oktober 2008 und Schiedsspruch vom 6. Februar 2009), habe auch im vorliegenden Fall ein Vorverfahren nach § 17 Abs. 1 SchiedsO durchgeführt werden müssen durch einen Einspruch beim Berufungsgegner selbst. Dies sei nicht erfolgt. Das Bezirksschiedsgericht wies aber darauf hin, dass es den Protest in der Sache für begründet halte.

Mit Schreiben vom 2. September 2015 legte der Berufungsführer Berufung ein. Er vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und beantragt, die Entscheidung des Bezirksschiedsgerichts dahingehend abzuändern, dass seine 1. Mannschaft in die Landesliga Neckar/Fils einzuteilen ist.

Der Berufungsgegner äußerte sich im Berufungsverfahren wegen Abwesenheit des Bezirksspielleiters nicht. Der stellvertretende Bezirksspielleiter verzichtete nach telefonischer Rückfrage auf eine Stellungnahme.

Zu den näheren Einzelheiten des Falles wird auf die Akten verwiesen.

Eine mündliche Verhandlung kam aufgrund der Eilbedürftigkeit des Falles nicht in Betracht.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Schiedsspruchs und zum Erfolg des Protestes.

I.
Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt.
II.
Auch gegen die Zulässigkeit des Protestes bestehen keine Bedenken.
  1. Ein Vorverfahren war nicht erforderlich. Gemäß § 17 Abs. 1 lit. a), b) SchiedsO sind "Streitigkeiten, die sich bei Mannschafts- und Einzelwettbewerben ergeben, […] an Ort und Stelle vom Turnierleiter zu entscheiden. Gegen diese Entscheidung kann bei der zuständigen Spielleitung innerhalb von 10 Tagen Einspruch eingelegt werden." Die Entscheidung des Berufungsgegners vom 10. Juli 2015 betrifft keine "Streitigkeiten, die sich bei Mannschafts- und Einzelwettbewerben ergeben".

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Entscheidungen des Verbandsschiedsgerichts vom 10. Oktober 2008 und vom 6. Februar 2009. Sofern sich diesen Entscheidungen entnehmen lässt, dass im dortigen Fall ein Vorverfahren erforderlich war, kann hier offen bleiben, ob daran festzuhalten wäre. Denn dort ging es immerhin um die Absage der Württembergischen Frauenmeisterschaft, wobei zugleich die vermeintlich einzige angemeldete Spielerin zur Württembergischen Meisterin erklärt wurde. Die dort angegriffene Entscheidung ersetzte also vollständig den geplanten "Einzelwettbewerb" einschließlich der Siegerehrung, sodass sie sich unter den Wortlaut des § 17 Abs. 1 lit. a) SchiedsO fassen ließe. Vorliegend geht es hingegen um die Frage der Spielberechtigung weit im Vorfeld von Mannschaftswettbewerben. Die Forderung nach einem Vorverfahren auch in solchen Fällen würde die Vorschrift des § 17 Abs. 1 lit. a), b) SchiedsO überdehnen.

  2. Der Protest war auch nicht verfristet. § 17 Abs. 3 lit. a) SchiedsO erwähnt eine Frist von 10 Tagen ausdrücklich nur gegen Einspruchsentscheidungen des Spielleiters. Die Regelung ist aber so zu verstehen, dass generell eine 10-Tages-Frist ab Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung läuft. Die Veröffentlichung auf der Homepage des Berufungsgegners ist jedoch keine "Bekanntgabe" in diesem Sinne. Verkündungsorgan nach § 12 Abs. 6 Satz 3 der Satzung des Schachverbands Württemberg ist gemäß Verbandstagsbeschluss vom 2. Juli 2011 die "Schachzeitung". Gemäß § 20 Abs. 1 GSO ist sie zugleich Verkündungsorgan des Berufungsgegners. Die Entscheidung vom 10. Juli 2015 wurde aber weder in der Schachzeitung veröffentlicht noch, soweit ersichtlich, dem Berufungsführer etwa per Rundmail mitgeteilt. Eine Protestfrist wurde daher nicht in Gang gesetzt.

III.
  1. Der Protest ist, wovon bereits das Bezirksschiedsgericht ausgeht, begründet.

    Die Regelung des § 8 Abs. 3 WTO ist vorliegend nicht anwendbar. Dies ergibt sich zunächst aus der Systematik des § 8 WTO, dessen Abs. 1 die Oberliga und Abs. 2 die Verbandsliga betrifft. Abs. 3 regelt sodann die Folgen des Rückzugs einer Mannschaft. Die Abs. 4 und 5 betreffen anschließend die Landesliga und Bezirksliga. Sollte Abs. 3 auch insoweit gelten, hätte es nahegelegen, ihn an das Ende von § 8 WTO zu setzen.

    Ferner regeln § 8 Abs. 4 und Abs. 5 WTO ausdrücklich, dass die Bezirke für die Landesliga und die Bezirksliga selbst Abstiegsregelungen treffen. Auch die Folgen eines Rückzugs wirken sich auf Abstiegsregelungen aus. Folglich ist davon auszugehen, dass die WTO insoweit keine Regelung für die Ligen der Schachbezirke treffen wollte.

  2. Der Berufungsgegner hat für den vorliegenden Fall eine einschlägige Regelung getroffen. In § 11 Abs. 6 Satz 2 GSO heißt es:

    "Zieht ein Verein eine Mannschaft aus der Landesliga oder Bezirksliga vor der neuen Saison zurück, so steigt in der alten Saison eine Mannschaft weniger aus der jeweiligen Klasse ab."

    Entscheidende Frage ist dabei, an welchem Stichtag die "neue Saison" beginnt. Die GSO enthält hierzu keine Regelung. § 20 Abs. 6 GSO verweist ergänzend auf die WTO.

    Auch insoweit scheidet jedoch ein Rückgriff im Sinne einer Analogie auf § 8 Abs. 3 WTO (der den Stichtag 01.06. nennt) aus. Denn der Berufungsgegner traf gerade eine eigenständige, von § 8 Abs. 3 WTO auch im Wortlaut stark abweichende Regelung. Hätte er dieselbe Regelung wie in § 8 Abs. 3 WTO treffen wollen, hätte ein einfacher Verweis genügt. Somit ist die WTO lediglich ergänzend für die Frage heranzuziehen, wann die "neue Saison" beginnt.

  3. Gemäß § 1 Abs. 8 WTO beginnt das Spieljahr am 01.09. eines Jahres und endet am 31.08. des folgenden Jahres. Die unterschiedliche Terminologie zwischen "Saison" und "Spieljahr" ist dabei unbeachtlich, denn die WTO selbst verwendet beide Begriffe synonym. Maßgeblicher Stichtag ist somit der 01.09. Dies führt dazu, dass der Rückzug einer Mannschaft bis einschließlich zum 31.08. eines Jahres gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 GSO noch zu einer nachträglichen Änderung der bis dahin regelmäßig längst abgeschlossenen Ligeneinteilung führen muss.

    Das Verbandsschiedsgericht verkennt nicht, dass es sich dabei um eine in Extremfällen kaum praktikable Regelung handelt, die sowohl für den Berufungsgegner als auch für mittelbar betroffene Vereine zu organisatorischen Schwierigkeiten führen kann. Der Berufungsgegner hat es jedoch selbst in der Hand, eine eindeutige Regelung zu treffen.

  4. Etwas anderes könnte sich zwar ergeben aus einer jahrzehntelangen abweichenden Praxis, die dem Berufungsführer bekannt war (vgl. Schiedsspruch vom 23. Juli 1999 in der Sache TSV Schwaigern ./. SV Bad Friedrichshall). Einen entsprechenden, allerdings lediglich pauschalen Hinweis enthält die Protesterwiderung des Berufungsgegners vom 5. August 2015. Unklar ist allerdings der dortige Verweis auf § 8 Abs. 3 WTO (mit dem Stichtag 01.06.), während als Stichtag der 01.07. zugrundegelegt wurde. Eine nähere Aufklärung war auch im Rahmen der vorgenommenen Amtsermittlung nicht erfolgreich.

  5. Für die Umsetzung dieses Schiedsspruchs weist das Verbandsschiedsgericht den Berufungsgegner auf Folgendes hin:

    Der angegriffene Beschluss vom 10. Juli 2015 betraf je einen Rückzug aus der Landesliga sowie aus der Bezirksliga. Der Berufungsführer konnte sich dagegen nur insoweit wehren, als er selbst betroffen war, nämlich hinsichtlich der Einteilung seiner 1. Mannschaft. Der Schiedsspruch bindet den Berufungsgegner daher nur so weit, wie aus dem Entscheidungstenor ersichtlich. Zwar wäre der Berufungsgegner grundsätzlich gleichwohl gehalten, von Amts wegen auch die Einteilung der Bezirksliga zu korrigieren. Aufgrund der sich daraus ergebenden zeitlichen und organisatorischen Schwierigkeiten (die Bezirksliga wird in zwei Staffeln ausgetragen und beginnt bereits am 20. September 2015) hält es das Verbandsschiedsgericht allerdings im vorliegenden Fall für ermessensfehlerfrei, lediglich die 1. Mannschaft des Berufungsführers in die Landesliga aufzunehmen und die Bezirksliga im Übrigen bei der bisherigen Einteilung zu belassen.

IV.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 12 SchiedsO.
Alexander Häcker
Michael Schwerteck
Norbert Kelemen