Anforderungen an ein Schachproblem

Veröffentlicht am: 30.11.1999 von Importfilter in: Referat Problemschach Drucken

(Diese Ausführungen beziehen sich - im Wesentlichen - auf die Forderung "Matt in n Zügen")

Ein Schachproblem mag noch so interessant, noch so schön sein - es ist wertlos, wenn es nicht drei Grundbedingungen erfüllt: Es muss korrekt, legal und original sein. Was heißt das nun genau?

  • Korrektheit
    1. Es muss seiner Forderung entsprechend tatsächlich lösbar sein; anders ausgedrückt, die vom Verfasser intendierte Lösung darf nicht an einem (von ihm übersehenen) Umstand scheitern.

    2. Eine Schachaufgabe muss frei von Nebenlösungen sein; das heißt, es dürfen neben dem vom Autor beabsichtigten Ablauf keine anderen vollständigen Lösungen mit eigenen Schlüsselzügen vorhanden sein. Der oft gehörte Satz, jede korrekte Schachaufgabe dürfe nur eine einzige Lösung haben, ist freilich aus zwei Gründen falsch: Erstens sind auch Aufgaben mit zwei und mehr Lösungen korrekt, wenn diese vom Verfasser beabsichtigt sind (man spricht dann von Zwei- bzw. Mehrspännern); zweitens kommt es durchaus vor, dass die Autorlösung nicht durchzusetzen, dafür aber eine unbeabsichtigte vorhanden ist. In diesem Fall hätte die Aufgabe nur eine einzige Lösung, aber eben eine Nebenlösung und wäre ebenfalls inkorrekt. Es muss daher richtig heißen: Eine korrekte Schachaufgabe darf lediglich die vom Autor beabsichtigte(n) Lösung(en) aufweisen.

      Nebenlösungen dürfen Sie nicht mit Varianten verwechseln. Bei den Varianten verzweigen sich die Spielwege nach demselben weißen Zug dadurch, dass Schwarz verschiedene Antworten hat - bei den Nebenlösungen dagegen beginnt die Verzweigung bereits im ersten weißen Zug. Varianten wie Nebenlösungen können auch kürzer sein als die geforderte Höchstzügezahl; man spricht dann von Kurzmatts. Schließlich gibt es noch Teilnebenlösungen (Duale, Triale, usw. genannt). Diese beginnen erst nach dem Schlüssel, also frühestens mit dem zweiten weißen Zug.

      Begriffsübersicht (schematisch)
      Nebenlösung
      1. Weiß zieht a oder b Schwarz zieht
      Variante
      1. Weiß zieht Schwarz zieht a oder b
      Teilnebenlösung
      1. Weiß zieht
      2. Weiß zieht a oder b
      Schwarz zieht
      Schwarz zieht
  • Legalität

    Dass es im Problemverlauf streng nach den Schachregeln - legal - zugeht, versteht sich von selbst. Aber sogar die Ausgangsstellung einer Schachaufgabe muss, so verlangt man seit eh und je, legal sein, das heißt: aus der Partie-Anfangsstellung erspielbar! Das ist die letzte Verbindung zwischen Tochter Schach-Aufgabe und Mutter Schach-Partie, die sich noch erhalten hat, obwohl sich das Töchterlein spätestens mit der Beschränkung auf eine bestimmte, in der Forderung angegebene Zügezahl längst emanzipiert hat.

    Beim Rückspiel von der Problem- zur Partie-Ausgangsstellung genügen meistens nur wenige Züge, in eine unzweifelhaft legale Position hinüberzuleiten; es werden auch weder vernünftige noch gar meisterliche Züge dabei vorausgesetzt - es kommt allein darauf an, dass sie den Spielregeln gemäß sind. Mitunter bedarf es, die Illegalität einer Problemposition nachzuweisen, geradezu kriminalistischen Scharfsinns in der rückschauenden (retrospektiven) Analyse. Spezialisten haben hieraus einen eigenen Kompositionszweig entwickelt haben, der Aufgaben mit retroanalytischem Einschlag pflegt.

    Das Gebot der Legalität ist der Grund, weshalb neben dem schwarzen stets auch der weiße König auf dem Brett sein muss, mag er nun am Geschehen beteiligt sein oder völlig teilsnahmslos herumgammeln.

  • Originalität

    Der Unterschied zwischen Partie als historischem Prozess und Problem als künstlerischem Produkt bringt es mit sich, dass Fragen wie die der Priorität, Antizipation, Originalität und des Plagiarismus bei der Partie keine, beim Problem hingegen eine wichtige Rolle spielen. Beim Zweikampf am Brett wird zu Recht niemand disqualifiziert, der von einem anderen stammende Züge oder Zugfolgen, z.B. Eröffnungsvarianten, aufgreift und zu seinen Gunsten verwertet - ein Schachproblem muss dagegen auf eigenem Mist gewachsen, darf auch nicht zufällig zuvor schon dagewesen, antipiziert sein.

    Antizipation ist die objektive Vorwegnahme der gleichen Schachaufgabe durch einen anderen Verfasser. Dieser Satz klingt völlig unproblematisch, bereitet aber in der Theorie und erst recht in der Praxis allerhand Schwierigkeiten. Welcher Grad der Übereinstimmung ist nötig, wenn eine Aufgabe als vorweggenommen gelten soll? Genügt die Wahl desselben Stoffes, derselben Grundidee? Muss es wenigstens die gleiche Thematik sein, das gleiche Grundschema? Ist die formale Ausführung von Bedeutung, die Gestalt? Es gibt hier keine Meinung, die nicht von mindestens einem namhaften Theoretiker vertreten wird. Aber noch niemand hat versucht, dieser Lebensfrage des Problemschachs ein tragfähiges gedankliches Fundament zu geben; bestenfalls verglich man zwei oder drei konkrete Fälle miteinander, bezeichnete die eine Aufgabe als vorweggenommen, die andere als original, fertig. Allgemeine Maßstäbe? Die behielt man hübsch für sich. Oder hatte man keine?

    Tritt zum objektiven Tatbestand der Vorwegnahme der subjektive des wissentlichen und willentlichen Eindringens in einen fremden Besitzkreis hinzu, so ist das Diebstahl geistigen Eigentums, ein Plagiat. Fälle dieser Art sind in der Geschichte des Problemschachs verhältnismäßig selten; die Sünder wurden immer schnell ertappt und zwar nicht gerade auf die Teufelsinsel verbannt, aber immerhin aus der internationalen Familie der Problemfreunde ein für allemal ausgestoßen.

    Selbstverständlich hat jeder Autor das Recht, eine eigene bereits publizierte Aufgabe zu vervollkommnen, inhaltlich oder formal veredelt als Neufassung wiederzuveröffentlichen, ja sogar in ein Turnier zu geben. Hier von Selbstplagiat zu sprechen, ist schlechterdings Unsinn; denn sich selber beklauen kann auch der geübteste Langfinger nicht. Lässt ein Autor eine eigene Form an zwei verschiedenen Stellen als Original (Urdruck) veröffentlichen oder gibt er sie in zwei voneinander unabhängige Turniere, so mag das unanständig, unsportlich, betrügerisch oder sonstwas sein - mit dem Begriff Plagiat hat das nichts zu tun.

    Das Prioritätsrecht an einem eigenen Schachproblem beginnt übrigens nicht etwa mit seiner Fertigstellung oder seiner Vorführung im Freundeskreise, sondern grundsätzlich erst mit der (nachprüfbaren) Publikation in einer Tageszeitung, einer Zeitschrift oder einem sonstigen jedermann zugänglichen Druckerzeugnis. Deshalb darf bei der Veröffentlichung einer Aufgabe niemals der Hinweis "Urdruck" bzw. - bei Nachdrucken - Zeit und Ort des Erstabdrucks (Quellenangabe) fehlen.